KLINIK FÜR UROLOGIE, UROONKOLOGIE, ROBOTERGESTÜTZTE UND FOKALE THERAPIE

Active Surveillance

Active Surveillance bei Prostatakrebs: Ein Leitfaden für Patienten (M. Schostak)

 

Als klinischer Urologe beschäftige ich mich sehr intensiv mit dem folgenden Thema. Ich möchte ich Ihnen deshalb gerne einen umfassenden Überblick über die Behandlungsstrategie der aktiven Überwachung (Active Surveillance) bei Prostatakrebs geben. Diese Methode ist besonders für Männer mit einem niedrigen bis mittleren Risiko geeignet und hat das Ziel, die Lebensqualität zu erhalten und gleichzeitig eine sichere Überwachung des Krebses zu gewährleisten.

 

Die Diagnose

Die Diagnose Prostatakrebs erfolgt häufig im Rahmen einer Routineuntersuchung, wenn erhöhte PSA-Werte (Prostata-spezifisches Antigen) festgestellt werden. Ein erhöhter PSA-Wert führt in der Regel zu einer Biopsie, die den Verdacht auf Prostatakrebs bestätigen kann. Bei vielen Patienten handelt es sich um eine langsam wachsende Form des Krebses, bei der sofortige aggressive Behandlungen nicht notwendig sind. In solchen Fällen stellt die aktive Überwachung eine sinnvolle Behandlungsstrategie dar.

 

Was ist Active Surveillance?

Active Surveillance bedeutet, dass der Zustand der Prostata durch regelmäßige Untersuchungen und Tests genau überwacht wird, ohne sofort eine aggressive Behandlung wie Operation oder Bestrahlung durchzuführen. Ziel ist es, die Entwicklung des Krebses genau zu beobachten und nur dann einzugreifen, wenn sich der Zustand verschlechtert.

 

Die Active Surveillance umfasst mehrere wesentliche Komponenten:

  • Regelmäßige PSA-Tests:  Alle sechs Monate wird der PSA-Wert gemessen. Ein Anstieg des PSA-Wertes könnte ein Hinweis auf ein Fortschreiten des Krebses sein. Diese Tests ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Veränderungen.
  • Digitale rektale Untersuchung (DRU):  Regelmäßige digitale rektale Untersuchungen helfen dabei, physische Veränderungen der Prostata zu erkennen. Diese Untersuchungen sind schnell und unkompliziert.
  • Bildgebende Verfahren:  Alle ein bis zwei Jahre wird eine MRT durchgeführt, um detaillierte Bilder der Prostata zu erhalten und Veränderungen im Gewebe zu erkennen.
  • Biopsien: Etwa anderthalb Jahre nach der Diagnose wird eine Bestätigungsbiopsie durchgeführt. Diese Prozedur liefert detaillierte Informationen über die Beschaffenheit der Krebszellen und hilft festzustellen, ob der Krebs aggressiver geworden ist.

 

Vorteile der Active Surveillance

  • Erhalt der Lebensqualität: Eine der größten Sorgen bei der Diagnose Krebs sind die möglichen Nebenwirkungen aggressiver Behandlungen wie Operationen und Bestrahlungen. Diese können Inkontinenz und sexuelle Funktionsstörungen verursachen, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können. Durch Active Surveillance können viele dieser Nebenwirkungen vermieden werden, sodass Patienten ihren Alltag weitgehend normal weiterführen können.
  • Vermeidung einer Überbehandlung: Nicht jeder Prostatakrebs wächst schnell oder breitet sich aus. Bei vielen Männern bleibt der Krebs über Jahre hinweg stabil. Die Active Surveillance hilft, unnötige Behandlungen zu vermeiden und die Möglichkeit zu erhalten, im Falle einer Verschlechterung flexibel auf verschiedene Behandlungsoptionen reagieren zu können.
  • Regelmäßige Überwachung: Durch die kontinuierliche Überwachung wissen Patienten, dass jede Veränderung ihres Zustands schnell erkannt wird. Dies gibt ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle über die eigene Gesundheit.

 

Wissenschaftliche Daten zur Active Surveillance

Die Entscheidung für Active Surveillance wird durch umfangreiche wissenschaftliche Studien gestützt:

  • ProtecT-Studie: Die Prostate Testing for Cancer and Treatment (ProtecT) Studie ist eine der größten und umfassendsten Studien auf diesem Gebiet. Sie umfasste über 1.600 Männer mit lokalisiertem Prostatakrebs, die entweder einer aktiven Überwachung, einer Operation oder einer Bestrahlung unterzogen wurden. Nach einem Beobachtungszeitraum von 15 Jahren zeigten die Ergebnisse, dass die Überlebensraten in allen drei Gruppen ähnlich hoch waren. Besonders bemerkenswert war, dass Männer, die sich für Active Surveillance entschieden hatten, deutlich weniger Nebenwirkungen erfuhren. Insbesondere waren die Raten von Inkontinenz und sexuellen Funktionsstörungen in dieser Gruppe signifikant niedriger. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass Active Surveillance nicht nur eine sichere, sondern auch eine patientenfreundliche Strategie ist, die die Lebensqualität erheblich verbessern kann.
  • PIVOT-Studie: Die Prostate Cancer Intervention Versus Observation Trial (PIVOT) untersuchte Männer mit lokalisiertem Prostatakrebs, die entweder einer radikalen Prostatektomie oder einer Beobachtungsstrategie (ähnlich der Active Surveillance) unterzogen wurden. Die Studie umfasste einen Zeitraum von zwölf Jahren. Die Ergebnisse zeigten, dass es in Bezug auf die Gesamtmortalität nur minimale Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gab. Dies bedeutet, dass die langfristigen Überlebenschancen bei Patienten, die sich für Active Surveillance entschieden, genauso gut sind wie bei jenen, die sich einer sofortigen Operation unterzogen. Zudem hatten die Männer unter Active Surveillance weniger gesundheitliche Komplikationen und eine bessere Lebensqualität. Diese Studie bestätigte, dass Active Surveillance eine sichere Alternative zur sofortigen invasiven Behandlung ist und insbesondere bei Männern mit einem niedrigen Risiko eine gute Prognose bietet.
  • Sunnybrook-Studie: Eine weitere bedeutende Studie zur Active Surveillance wurde von Dr. Lawrence Klotz und seinem Team an der Universität von Toronto durchgeführt. Diese Langzeitstudie umfasste über 1.000 Männer mit lokalisiertem Prostatakrebs und untersuchte die langfristigen Ergebnisse der Active Surveillance über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren. Die Ergebnisse zeigten, dass die meisten Männer, die sich für Active Surveillance entschieden hatten, keinen signifikanten Fortschritt des Krebses erlebten und keine sofortige aggressive Behandlung benötigten. Die Überlebensrate nach 10 Jahren betrug 98%, und auch nach 15 und 20 Jahren blieb die Rate hoch. Die Studie unterstrich, dass Active Surveillance eine effektive Strategie ist, um die Lebensqualität zu erhalten und gleichzeitig das Risiko unnötiger Behandlungen zu minimieren. Dr. Klotz' Forschung hat maßgeblich dazu beigetragen, das Vertrauen in die Active Surveillance als sichere und wirksame Option zu stärken

 

Die Bedeutung der Lebensqualität

Ein wesentlicher Vorteil der Active Surveillance ist die Erhaltung der Lebensqualität. Aggressive Behandlungen wie Operationen und Bestrahlungen können erhebliche Nebenwirkungen haben, die sich stark auf das tägliche Leben auswirken können. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Inkontinenz und sexuelle Funktionsstörungen. Durch Active Surveillance können viele dieser Nebenwirkungen vermieden werden, was den Patienten ermöglicht, ein aktives und erfülltes Leben zu führen.

 

Der Übergang zur aktiven Behandlung

Die Entscheidung, von Active Surveillance zu einer aktiven Behandlung überzugehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • PSA-Anstieg: Ein kontinuierlicher oder schneller Anstieg des PSA-Wertes kann ein Zeichen dafür sein, dass der Krebs wächst.
  • Veränderungen in der Biopsie: Neue oder aggressivere Krebszellen können einen Behandlungswechsel erforderlich machen.
  • Bildgebung: Veränderungen in den MRT-Bildern können ein Eingreifen notwendig machen.
  • Symptome: Das Auftreten neuer Symptome kann ebenfalls ein Indikator für die Notwendigkeit einer aktiven Behandlung sein.

 

Unterstützung und Beratung

Es ist entscheidend, in engem Kontakt mit dem medizinischen Team zu bleiben und alle Bedenken und Fragen offen anzusprechen. Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen können wertvolle Unterstützung bieten. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft, sich weniger allein zu fühlen und wertvolle Tipps zu erhalten. Als Ihr Arzt stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung, um Ihre Fragen zu beantworten und Sie bestmöglich zu unterstützen.

 

Fazit

Active Surveillance ist eine sichere und effektive Strategie, um die Lebensqualität zu erhalten und gleichzeitig die Kontrolle über die Gesundheit zu behalten. Diese Methode erfordert regelmäßige Untersuchungen und eine enge Zusammenarbeit mit dem medizinischen Team, bietet jedoch viel Sicherheit und Flexibilität. Ich hoffe, dass dieser Leitfaden Ihnen hilft, eine informierte Entscheidung zu treffen und Ihre Gesundheit in den besten Händen zu wissen.

 

Quellen

  1. Hamdy, F et al.  Fifteen-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for Prostate Cancer N Engl J Med 2023;388:1547-1558
  2. Wilt TJ et al.  Radical Prostatectomy or Observation for Clinically Localized Prostate Cancer: Extended Follow-up of the Prostate Cancer Intervention Versus Observation Trial (PIVOT) Eur Urol. 2020 Jun;77(6):713-724
  3. Klotz L. Active surveillance for low-risk prostate cancer. Curr Opin Urol. 2017 May;27(3):225-230
  4. AUA-Leitlinien: https://www.auanet.org/guidelines/prostate-cancer-clinically-localized-guideline
  5. EAU-Leitlinien: https://uroweb.org/guideline/prostate-cancer/
  6. S3-Leitlinien des deutschen Leitlinienprogramms Onkologie: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/prostatakarzinom)

Letzte Änderung: 22.05.2024 - Ansprechpartner:

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